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Arbeitsschutz gegen Pandemie – Alle sind gefordert!

BMAS stellt neuen Arbeitsschutzstandard vor

Nach Wochen der umfassenden gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Einschränkungen wird hinsichtlich der Coronakrise nun hauptsächlich darüber diskutiert, unter welchen Voraussetzungen all die zur Eindämmung der Pandemie getroffenen Maßnahmen gelockert werden können. Um die Wirtschaft schrittweise und möglichst ohne weitere Rückschläge zu ihrem Leistungsvermögen vor der Coronakrise zurückzuführen, kommt in diesen Überlegungen vor allem dem Arbeits- und Gesundheitsschutz eine zentrale Rolle zu. So äußerte sich unter anderem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: „Wer in diesen besonderen Zeiten arbeitet, braucht auch besonderen Schutz. Wichtig ist, dass wir bundesweit klare und verbindliche Standards haben.“ Vor diesem Hintergrund hat das von ihm geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) am 16.04.2020 einen neuen „Arbeitsschutzstandard Sars-CoV-2“ vorgestellt. Hierzu veröffentlichte das Ministerium auf seiner Homepage neben dem ausführlichen Inhaltspapier mitsamt aller Vorgaben eine dazugehörige Übersicht anhand von zehn Eckpunkten. Das BMAS stellt dabei zwei Grundsätze voran, die unabhängig von jeweiligen Maßnahmenkonzepten in allen Betrieben gelten sollen:

  1. In Zweifelsfällen, bei denen der Mindestabstand von 1,5 m nicht sicher eingehalten werden kann, müssen Mund-Nasen-Bedeckungen zur Verfügung gestellt und getragen werden.
  2. Personen mit Atemwegssymptomen (sofern nicht vom Arzt z. B. abgeklärte Erkältung) oder Fieber sollen sich generell nicht auf dem Betriebsgelände aufhalten. Der Arbeitgeber hat (z. B. im Rahmen von „Infektions-Notfallplänen“) ein Verfahren zur Abklärung von Verdachtsfällen festzulegen. Zur Einhaltung dieser Grundsätze sollen sich die Unternehmen an den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts orientieren.

In seinem Inhaltspapier hat das BMAS eine konkrete Auflistung von besonderen technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen vorgenommen, welche die Pflichten des Arbeitgebers aus dem Arbeitsschutzgesetz konkretisieren, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, die jeweils erforderlichen Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu treffen. Die wichtigsten Punkte haben wir im Folgenden für Sie zusammengefasst:

Abstand und Schutzausrüstung: An allen Arbeitsplätzen soll der Mindestabstand von 1,5 m eingehalten werden. Dies gilt auch in Bereichen mit Kundenkontakt, bei gemeinsamen Fahrten mit Kollegen und in Gemeinschaftseinrichtungen (Kantinen, Zeiterfassungsterminals, Treppen etc.). Soweit der Abstand nicht eigehalten werden kann, sind Mund-Nase-Bedeckungen zur Verfügung zu stellen.

Homeoffice: Soweit dies möglich ist, soll das Homeoffice genutzt werden. Dies gilt insbesondere, wenn die Büroumgebung im Betrieb so beschaffen ist, dass die Abstandsvorgaben nicht eingehalten werden können.

Hygiene: Hautschonende Seifen, Desinfektionsmittel und Handtuchspender sind zur Verfügung zu stellen. Dies gilt nicht nur im Betrieb, sondern auch in Fahrzeugen. Auf die Einhaltung der Nies- und Hustetikette wird geachtet. Arbeitsmaterialien, die von mehreren Arbeitnehmern benutzt werden (müssen), müssen regelmäßig beziehungsweise nach der jeweiligen Nutzung gereinigt werden. Vorrangig sollen Arbeitsmaterialien, gerade Arbeitskleidung und persönliche Schutzausrüstung, ausschließlich personenbezogen genutzt werden.

Begrenzung der Kontakte: Um die Anzahl der Kontakte zu begrenzen, soll möglichst in festen Teams gearbeitet werden und es sind organisatorische Maßnahmen zu treffen, um das Zusammentreffen vieler Personen an einem Ort möglichst zu vermeiden. Dies betrifft gerade Beginn und Ende der Arbeitszeit (z.B. Umkleide, Zeiterfassung, Schichtwechsel) und die Pausen.

Dienstreisen: Zur Vermeidung von Dienstreisen und Meetings soll auf Telefon- und Videokonferenzen ausgewichen werden.

Betriebsfremde Personen: Betriebsfremden Personen soll der Zugang zum Betrieb weitestgehend untersagt werden. Lässt sich das Betreten des Betriebs durch Betriebsfremde nicht vermeiden, sollen die Kontaktdaten dieser Personen sowie der Zeitpunkt des Betretens und Verlassens des Betriebs dokumentiert werden.

Verdachtsfälle: Mitarbeiter, die verdächtige Symptome aufweisen, sollen das Betriebsgelände umgehend verlassen, bis ärztlich geklärt ist, ob sie sich mit Corona infiziert haben. Der Arbeitgeber soll ferner einen Pandemieplan aufstellen, um Kontaktpersonen infizierter Mitarbeiter schnell ermitteln und informieren zu können.

Kommunikation und Verantwortung: Der Arbeitgeber trägt die Verantwortung für die Umsetzung der erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen und hat eine umfassende Kommunikation im Betrieb hierüber sicherzustellen.

Alle Betriebsparteien sind gefordert

Hinsichtlich der Umsetzung der Maßnahmen heißt es in dem Inhaltspapier des BMAS: „Die Verantwortung für die Umsetzung notwendiger Infektionsschutzmaßnahmen trägt der Arbeitgeber entsprechend dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung.“ Bereits aus dieser Formulierung, die dem Arbeitgeber nach den allgemeinen Grundsätzen die Verantwortung für die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften zuspricht, wird bereits durch die Bezugnahme auf durchzuführende Gefährdungsbeurteilungen deutlich, dass es für die Umsetzung der neuen Vorgaben nicht nur auf den Arbeitgeber ankommen kann. Insofern ist der darauffolgende Satz in dem Papier des BMAS, wonach der Arbeitgeber sich von den Fachkräften für Arbeitssicherheit und Betriebsärzten beraten zu lassen sowie mit den betrieblichen Interessensvertretungen abzustimmen hat, folgerichtig und wichtig.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften mitzubestimmen. Voraussetzung ist, dass eine ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschrift besteht, die den Arbeitgeber zum Handeln verpflichtet. Die Anforderungen an diese Rahmenvorschriften sind nicht sonderlich hoch. Sie müssen dem Arbeitgeber lediglich ein zu erreichendes Schutzziel vorgeben und ihm einen Ermessensspielraum einräumen.

Eine solche Rahmenvorschrift ist beispielsweise § 3 Abs. 1 ArbSchG, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Der Betriebsrat hat bei der Festlegung der erforderlichen Maßnahmen nach § 3 Abs. 1 ArbSchG ein Mitbestimmungsrecht, wenn es sich bei ihnen um eine Pflicht des Arbeitgebers handelt, zu deren Erfüllung sich mehrere Möglichkeiten bieten. Dabei ist zu beachten, dass der Betriebsrat konkrete Maßnahmen nicht einseitig erzwingen kann, aber sehr wohl ein Initiativrecht innehat, um den Erlass einer Regelung in Gang zu setzen.

Der neue Arbeitsschutzstandard des BMAS verpflichtet die Arbeitgeber vollumfänglich. Soweit die Vorgaben einen von Arbeitnehmern einzuhaltenden Mindestabstand von 1,5 m festlegen, besteht seitens des Arbeitgebers kein Ermessensspielraum, sodass kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates besteht. Hinsichtlich der Frage, welche Maßnahmen in Situationen, in denen der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, abgesehen vom Tragen von Nasen-Mund-Bedeckungen, noch in Betracht kommen, ist dagegen die Mitbestimmung des Betriebsrats eröffnet. Gleiches gilt unter anderem für die Maßnahmen zur Arbeitsplatzgestaltung, Einrichtung von Homeoffice-Arbeitsplätzen sowie Arbeitszeit- und Pausengestaltung, für die stets mehr als nur eine Umsetzungsmöglichkeit besteht. Die durch den neuen Arbeitsschutzstandard eröffneten Pflichten in puncto Arbeits- und Gesundheitsschutz sind vielfältig und dementsprechend trifft dies auch auf die Mitbestimmung des Betriebsrats zu.

Maßnahmen, die aus dem neuen Arbeitsschutzstandard abzuleiten sind, können neben dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Hinblick auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz allerdings noch weitere Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats berühren. Hier ist insbesondere an die Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG) zu denken, da z. B. eine veränderte Lage der Pausen und die Schichtplanung mitbestimmungspflichtig sind. Auch der erweiterte Einsatz von IT-gestützten Kommunikationslösungen kann Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslösen, da es sich hierbei vielfach um technische Einrichtungen handelt, die geeignet sind, Verhalten und Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.

Aufgrund der Vielfältigkeit der Aufgaben und Herausforderungen zur Umsetzung des neuen Arbeitsschutzstandards und insgesamt der Herausforderungen im Rahmen der gegenwärtigen Situation bietet sich – wie bereits in unserem Blogbeitrag vom 06.04.2020 zum Thema Homeoffice-Arbeitsplätze ausgeführt – eine umfassende Betriebsvereinbarung als Maßnahmenkonzept für den gesamten Betrieb an. Transparente Regelungen zur Einhaltung des Mindestabstands, zum Vorgehen bei Verdachtsfällen oder all der weiteren besonderen Maßnahmen erleichtert unter anderem deren Kommunikation gegenüber den Arbeitnehmern. Darüber hinaus erscheint es ratsam, die Regelungen zunächst zu befristen, um auf die dynamische Entwicklung, die nach wie vor durch das Virus und nicht durch die Wirtschaft oder Politik bestimmt wird, reagieren zu können.

Fazit

Die Empfehlungen und Vorgaben des BMAS sind zunächst einmal verständlich und wirken angesichts der vielfältigen Herausforderungen, die durch die Pandemie in der Arbeitswelt entstanden sind, angemessen und notwendig. Die Umsetzung einiger Maßnahmen ist bereits in vielen Unternehmen erfolgt. Jedoch besteht in manchen Punkten noch großer Konkretisierungsbedarf. Es steht zu befürchten, dass der große Umfang an Vorgaben sowie die noch bestehenden Unklarheiten dazu führen, dass sich viele, insbesondere kleinere, Betriebe an der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit gehindert sehen. Dies stünde dem eigentlichen Zweck des neuen Arbeitsschutzstandards, durch weitergehende Arbeitsschutzmaßnahmen die wirtschaftliche Aktivität wiederherzustellen, zunächst einmal entgegen. Daher ist es zu begrüßen, dass das BMAS in seinem Inhaltspapier diesbezüglich angekündigt hat, einen Beraterkreis „Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz zur Prävention von SARS-CoV-2“ ins Leben zu rufen, „um zeitnah und koordiniert auf die weitere Entwicklung der Pandemie reagieren und ggf. notwendig Anpassungen am vorliegenden Arbeitsschutzstandard vornehmen zu können“. In diesem Gremium sollen Mitglieder der maßgebenden Einrichtungen, wie dem BMAS, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und der Arbeitsmedizin (BAuA), dem Robert-Koch Institut (RKI), dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sowie der Unfallversicherungsträger (UVT) vertreten sein.

Des Weiteren hat der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Unfallversicherung, Herr Dr. Stefan Hussy, der den neuen Arbeitsschutzstandard gemeinsam mit Minister Heil vorgestellt hat, verlauten lassen, dass die Unfallversicherungsträger gerade den kleineren Betrieben mit ihrer Expertise bei der Umsetzung Hilfestellung leisten würden.

So bleibt abzuwarten, wie schnell die Zahnräder des Systems ineinandergreifen werden und ob der neue Arbeitsschutzstandard in der gewünschten Art und Weise Eingang in den betrieblichen Alltag finden wird.

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