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Benachteiligung Schwerbehinderter im Vorruhestandsverhältnis

BAG, Urteil vom 21.11.2017, 9 AZR 141/17

Personal abbauen, aber wie? Das Vorruhestandsverhältnis ist ein beliebtes Instrument, um ältere Arbeitnehmer vor Erreichen der Regelaltersgrenze für einen Rentenanspruch zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zu veranlassen. Im Regelfall endet die Vereinbarung mit dem frühestmöglichen Rentenbezug. Doch was gilt, wenn der Arbeitnehmer schwerbehindert ist und früher in Rente geht – dann verkürzt sich die Laufzeit seines Vorruhestandsverhältnisses gegenüber dem seiner Kollegen. Benachteiligung ja oder nein? Mit dieser Frage hat sich das Bundesarbeitsgericht auseinandergesetzt.

Vorruhestandsverhältnis läuft bis zum frühestmöglichen Rentenbezug

Eine Großbank wollte im Rahmen ihres Konzernumbaus Personal abbauen. Mit dem Betriebsrat schloss sie einen Sozialplan über die geplanten Maßnahmen. Der Arbeitsplatzverlust sollte hiernach auch durch Vorruhestandsvereinbarungen ausgeglichen werden. Diese sollten eine Laufzeit bis zum frühestmöglichen Rentenbezug haben. Aufgrund dieser Vorgaben schloss die Klägerin, eine 1954 geborene und schwerbehinderte Mitarbeiterin, mit der Bank eine Vereinbarung. Das Vorruhestands-Ende war zunächst für Juli 2015 vorgesehen, denn von August 2015 an konnte die Mitarbeiterin eine vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen beziehen.

Mit anderen Mitarbeitern wurden Vereinbarungen getroffen, die eine längere Laufzeit enthielten. So wurde einer 1955 geborenen Mitarbeiterin Vorruhestand bis April 2018 zugesagt. Als Kritik an der Benachteiligung Schwerbehinderter aufkam, bot die Bank Nachbesserungen an. Der Klägerin wurde die Verlängerung ihres Vorruhestands bis Ende November 2015 zugesagt.

Das genügt ihr aber nicht: Sie klagt auf Verlängerung bis Ende November 2017 und fordert zusätzlich eine Entschädigung in Höhe von 40.000,00 €.

Behinderte Arbeitnehmer durch Regelung benachteiligt

Das BAG entschied, dass das Vorruhestandsverhältnis bis November 2017 fortbestehe. Die Regelung über die Laufzeit des Vorruhestands sei wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) unwirksam.

Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen sind unwirksam (§ 7 Abs. 2 AGG). § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. § 1 AGG lautet:

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

Die Klägerin könne als Schwerbehinderte eine vorzeitige Altersrente in Anspruch nehmen (vgl. § 236 Abs. 1 S. 2 SGB VI). Da die Vorruhestandsvereinbarung mit dem frühestmöglichen Rentenbezug ende, verkürze sich die Laufzeit der Vereinbarung im Verhältnis zu ihren nicht schwerbehinderten Kollegen. Damit sei die Klägerin wegen ihrer Behinderung gemäß § 3 Abs. 1 AGG unmittelbar benachteiligt worden. Dieser lautet nämlich:

Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

Vergleichbare Situation trotz gezahlter Frührente?

Ja, urteilte das BAG. Die Klägerin befinde sich mit den nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern, mit denen die Beklagte Vorruhestandsvereinbarungen geschlossen hat, in einer vergleichbaren Situation.

Schließlich diene der Bezug von Vorruhestandsgeld typischerweise dazu, Versorgungslücken zu überbrücken, die dadurch entstünden, dass der Anspruchsberechtigte seine Erwerbstätigkeit bei seinem Arbeitgeber vorzeitig beendet. Der Arbeitnehmer solle wirtschaftlich so lange abgesichert werden, bis er das Alter erreicht, in dem Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt werden. Diesen Zweck verfolgten auch die bei der Beklagten geschlossenen Vorruhestandsvereinbarungen.

Ebenso wie die nicht behinderten Arbeitnehmer verliere die Klägerin ihren Arbeitsplatz und das bisher gewährte Arbeitsentgelt. An dessen Stelle trete für die Dauer des Vorruhestands das Vorruhestandsgeld, das die Zeit bis zur Inanspruchnahme von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung überbrücke und deren Höhe übersteige.

Der finanzielle Vorteil, der einem schwerbehinderten Arbeitnehmer aus dem früheren Rentenbeginn erwächst, habe nicht zur Folge, dass seine Situation eine andere ist, als die eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers.

Die Klägerin sei so zu stellen wie ein nicht schwerbehinderter Kollege, sodass die Vorruhestandvereinbarung bis Ende November 2017 zu verlängern sei. Eine rückwirkende Laufzeitbegrenzung bereits geschlossener Vorruhestandsvereinbarungen mit nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern sei aufgrund von Vertrauensschutzgesichtspunkten nicht möglich.

Frist verpasst – keine Entschädigung!

Die geltend gemachte Entschädigung in Höhe von 40.000,00 € sprachen die Richter der Klägerin nicht zu. Diese hatte den auf die Benachteiligung wegen ihrer Schwerbehinderung gestützten Anspruch nicht innerhalb der Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht.

Praxistipp: Vorruhestand – ein Gewinn für alle?

Arbeiten bis man 67 ist? Das klingt für die wenigsten Arbeitnehmer attraktiv. Den eigenen Lebensabend haben sich schließlich viele anders vorgestellt – sei es auf der eigenen Finca in Mallorca, im Sandkasten mit den Enkelkindern oder bei einem Sprachkurs in der Volkshochschule. Leisten kann sich einen frühzeitigen Ausstieg aus dem Arbeitsleben jedoch grundsätzlich kaum jemand.

Auch für Arbeitgeber gibt es Situationen, in denen sie ihre Arbeitnehmer möglichst schnell, also vor dem offiziellen Renteneintritt, „loswerden“ wollen. Anlass kann eine schwierige wirtschaftliche Lage sein, bei der im Rahmen von Restrukturierungsaufgaben ein Personalabbau anfällt. Mitunter will man auch die Altersstruktur verjüngen oder sparen, in dem ältere durch jüngere Arbeitskräfte ersetzt werden.

Der Abschluss einer Vorruhestandsvereinbarung kann daher für beide Seiten Vorteile bieten. Das Arbeitsverhältnis wird einvernehmlich beendet und der Arbeitgeber zahlt bis zum Rentenbeginn das vereinbarte Vorruhestandsgeld. Im Regelfall werden weiterhin Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt, sodass die spätere Rente kaum geringer ausfällt.

Potential für Diskriminierung im Blick haben – sonst kann es teuer werden!

Damit die Vorruhestandsvereinbarung aber zu einem Gewinn für alle Beteiligten wird, gilt es bei deren Regelung ein mögliches Potential für Diskriminierungen auszuschließen. Die aktuelle BAG-Rechtsprechung zu befolgen sollte daher jedem Arbeitgeber ein Anliegen sein. Das Gesetz gibt dem betroffenen Arbeitnehmer mit § 15 Abs. 1 AGG einen Schadensersatzanspruch an die Hand, durch den dem Arbeitgeber unter Umständen hohe finanzielle Einbußen drohen können. In dem Fall, über den das BAG zu entscheiden hatte, kam der Arbeitgeber lediglich wegen einer verpassten Frist um die Zahlung einer – vermutlich – nicht zu unterschätzenden Summe herum.

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