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Auskunftsanspruch im Arbeitsverhältnis: Im Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Whistleblowing

LAG Baden Württemberg, Urteil vom 20.12.2018, 17 Sa 17/18

Eigentlich ist die Sache klar: Arbeitnehmer sollen erfahren dürfen, welche Daten im Unternehmen über sie erfasst werden. Und Hinweisgeber (sog. Whistleblower), die Missstände im Unternehmen aufdecken, sollen vor Nachteilen geschützt werden. Aber was gilt, wenn Auskunftsanspruch und Geheimhaltungsinteresse kollidieren?

Darüber musste das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entscheiden.

Gekündigter Arbeitnehmer begehrt Akteneinsicht

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Autokonzern Daimler mehrere Jahre lang als Führungskraft in der Rechtsabteilung beschäftigt. Zuletzt könnte man das Verhältnis der Parteien durchaus als angespannt bezeichnen: Pünktlich zum zehnjährigen Dienstjubiläum flatterte dem Kläger eine ordentliche Kündigung auf den Tisch, gegen die er sich vor dem Arbeitsgericht Stuttgart (17 Ca 4075/17) jedoch erfolgreich wehrte.

Im Rahmen dieser Entscheidung erhielt der Kläger auch das Recht, Einsicht in die von der Abteilung Business Practices Offices (BPO), die als konzerneigene Einrichtung für interne Ermittlungen zuständig ist, gesammelten Daten zu nehmen. Das Arbeitsgericht Stuttgart hatte die Daten als Teil der Personalakte eingestuft – zum Unmut von Daimler, die die Einsichtnahme wegen der Bedenken, die Identitäten von sogenannten „Whistleblowern“ aufzudecken, zuvor verweigert hatte.

Beigelegt wurde der Rechtstreit damit jedoch nicht: Gestritten wird nach wie vor bezüglich der Wirksamkeit der Kündigung, eines auf die Kündigung bezogenen Auflösungsantrags der Beklagten, der Entfernung zweier Abmahnungen aus der Personalakte, über das Recht auf Einsichtnahme in die von der Abteilung BPO gesammelten Daten sowie – und das ist neu –  über einen Auskunftsanspruch des Klägers nach Art. 15 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

LAG gibt Kläger Recht

Das LAG Baden-Württemberg schloss sich in allen wesentlichen Punkten dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart an. Das heißt, die Kündigung des Beklagten ist unwirksam, die Abmahnungen sind aus der Personalakte zu entfernen und Akteneinsicht ist zu gewähren.

…ja, und?

Auf den ersten Blick handelt es sich hier um einen ganz gewöhnlichen arbeitsrechtlichen Fall, den man vielleicht wegen seiner Protagonisten wohl nicht in jeder Kanzlei für Arbeitsrecht als alltäglich bezeichnen würde, nach dem aber davon abgesehen eigentlich sprichwörtlich kein Hahn mehr kräht. Und doch hat die Entscheidung Wellen geschlagen – Grund dafür ist die Verbindung zur DSGVO, die seit Mai 2018 in Deutschland gilt.

Datenschutz leichtgemacht – oder doch nicht?  

Die DSGVO hat im vergangenen Jahr die aus dem Jahr 1995 stammende EU-Datenschutzrichtlinie abgelöst. Diese war schlichtweg nicht mehr zeitgemäß und konnte die neuen Fragen der fortschreitenden Digitalisierung nicht beantworten. In Zeiten von „Big data“ und neuen Techniken der Datenverarbeitung und – speicherung soll die DSGVO auf europäischer Ebene die Privatsphäre der Betroffenen schützen, indem diese mehr Kontrolle über ihre Daten haben und deren Verwendung transparenter wird.

Während die DSGVO das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stärkt, sollen Verbraucher – und Wirtschaftsinteressen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Das ist nicht immer einfach.

Die Vorgaben der DSGVO umzusetzen, kann insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen eine Herausforderung darstellen. Während sich die Digitalisierung nicht aufhalten lässt und viele Arbeitgeber bereits neue Arbeitsplatzkonzepte testen oder sogar schon umgesetzt haben, hinkt die rechtliche Komponente des Fortschritts der technischen häufig hinterher. Wie das kommt? Die Anforderungen an den Datenschutz im Unternehmen haben sich mit Inkrafttreten der DSGVO extrem verändert und die Neuerungen sind umfangreich – immerhin umfasst die Verordnung knapp 100 Artikel.

Verstöße können teuer werden…

Für denjenigen, der sich nicht schnell informiert, kann es ungemütlich werden: Bei Verstößen gegen die DSGVO drohen dem Arbeitgeber unter anderem Schadensersatzansprüche sowie Bußgelder in einem enormen Rahmen. Die Beweislast dafür, dass kein Verstoß vorliegt, trifft das Unternehmen.

Auskunftsrecht im Arbeitsverhältnis

Das LAG Baden-Württemberg hat dem Kläger einen Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO zugesprochen.

Art. 15 Abs. 1 DSGVO lautet in Auszügen:

Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen (…).“

Der Auskunftsanspruch besteht also aus zwei Elementen: Zum einen können Betroffene darüber Auskunft verlangen, ob ihre Daten überhaupt verarbeitet wurden und – sollte dies der Fall sein – haben sie zum anderen einen Auskunftsanspruch über

  • deren Verarbeitungszwecke
  • die Kategorien der personenbezogenen Daten, die verarbeitet wurden
  • die Empfänger der Daten
  • die Dauer der Speicherung
  • bestehende Rechte wie Löschung oder Berichtigung der Daten
  • die Herkunft der Daten
  • das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling.

Das LAG hat entschieden, dass die DSGVO unmittelbar und auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar sei. Die Beklagte verarbeite personenbezogene Daten des Klägers, weshalb dieser sowohl einen erweiterten Auskunftsanspruch (Art. 15 Abs. 1 Hs. 2 DSGVO) als auch einen Anspruch auf Herausgabe einer Kopie der Daten (Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO) habe.

Datenschutz vs. Whistleblowing

„Whistleblowing“ – also zu deutsch in die Pfeife blasen – bezeichnet gewöhnlich den Vorgang, bei dem eine Person über verdeckte Missstände in einem Unternehmen aufklärt – und sich damit unter Umständen nicht unerheblichen Risiken aussetzt. Über Monate ging etwa der Fall des Edward Snowden durch die Presse, der Einblicke in das Ausmaß der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von amerikanischen Geheimdiensten gab und seitdem im russischen Exil sitzt.

Doch auch in Deutschland sind Fälle von Whistleblowing bekannt: Im Jahr 2007 kam beispielsweise der Gammelfleischskandal ans Licht, als ein Lkw-Fahrer den ungenießbaren Zustand seiner Ladung meldete.

Dass sog. Whistleblower schutzbedürftig sind, haben mittlerweile auch die EU und Deutschland erkannt. Die Bundesregierung hat daher im März 2019 das Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) verabschiedet, mit dem die EU-Geschäftsgeheimnisschutz-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wird. Ziel ist es zu vermeiden, dass Whistleblower aus Angst vor persönlichen Konsequenzen davor zurückschrecken, Fehlverhalten im Unternehmen aufzuzeigen.

1:0 für den Datenschutz

Das LAG hat entschieden, dass die Ansprüche des Klägers auf Auskunft und Herausgabe der personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten nicht durch berechtigte Interessen Dritter beschränkt seien.

Wann dies der Fall ist, richte sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Das heißt: In jedem Einzelfall müsse das konkrete Interesse des Arbeitnehmers an der Auskunftserteilung ermittelt und dem betrieblichen Interesse des Arbeitgebers an der Auskunftsversagung beziehungsweise den berechtigten Interessen Dritter gegenübergestellt und abgewogen werden.

Es könne grundsätzlich ein legitimes Interesse an der Geheimhaltung einer Informationsquelle darstellen, wenn der Arbeitgeber zum Zwecke der Aufklärung innerbetrieblichen Fehlverhaltens Whistleblowern Anonymität zusichert. Schließlich könnten bestimmte Arten von Regelverstößen innerhalb einer hierarchischen Struktur effektiver durch anonyme Meldeverfahren aufgedeckt werden.

Dass die Beklagte lediglich „pauschal“ auf den Schutz von Whistleblowern verwiesen habe, reiche jedoch nicht aus. Aus allgemeinen Erwägungen könne der Auskunftsanspruch des Klägers nicht eingeschränkt werden.

Praxistipp: Dieses war der erste Streich, …

Zum ersten Mal hat ein Arbeitnehmer seinen Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO vor einem LAG durchgesetzt. Dass es bei diesem Einzelfall bleiben wird, ist unwahrscheinlich. In Zeiten der Datensensibilität müssen die Gerichte nun wohl vielmehr mit einigen Nachahmern rechnen.

Das ist zu begrüßen, denn dabei dürften endlich einige der im Rahmen von Art. 15 DSGVO offenen Fragen geklärt werden.

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