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Erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung von Personalbemessungszahlen/ Personalschlüsseln

LAG Hamburg vom 16.07.2020 – 8 TaBV 8/19

Die Festlegung von Mindestpersonalquoten ist in vielen Betrieben ein umstrittenes Thema, zu dem zurzeit noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt. Um eine gesundheitsgefährdende Überlastung des Personals zu verhindern, fordern Betriebsräte, bestimmte Personalschlüssel festzulegen und hierbei mitzubestimmen. Arbeitgeber lehnen dies vielfach ab und wenden ein, dass durch einen festgelegten Personalschlüssel die Beschäftigtenanzahl bestimmt wird, diese jedoch allein durch den Arbeitgeber festzulegen sei.

Das LAG Hamburg (Beschluss vom 16.07.2020 – 8 TaBV 8/19) hat im Fall einer Hamburger Klinik entschieden, dass dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung von Personalschlüsseln zusteht. Das Gericht hat dabei ausdrücklich gegensätzlich zu einer Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein (vom 25.04.2018 – 6 TaBV 21/17) entschieden, in der das Gericht ein solches Mitbestimmungsrecht abgelehnt hatte. Gegen die Entscheidung das LAG Hamburg ist Rechtsmittel eingelegt worden, so dass das BAG über diese Angelegenheit künftig entscheiden wird.

Einigungsstellenspruch zu Personalquote

In dem Fall, der dem LAG Hamburg zur Entscheidung vorlag, ging es um eine Hamburger Klinik. Betriebsrat und Arbeitgeber hatten eine Betriebsvereinbarung zu Gefährdungsbeurteilungen und den daraus abzuleitenden Maßnahmen geschlossen. Mehrere externe Sachverständige begutachteten die Belastung der Mitarbeiter, insbesondere durch Befragungen. In einer Einigungsstelle wurden die Feststellungen und Bewertungen der Sachverständigen diskutiert und die abzuleitenden Maßnahmen verhandelt. Der Betriebsrat drängte darauf, eine Mindestpersonalquote pro Patientenbett festzulegen. Der Arbeitgeber lehnte dies jedoch ab. Die Einigungsstelle entschied durch einen Spruch, in dem sie eine Mindestpersonalquote festlegte. Diesen Spruch focht die Arbeitgeberin zunächst erfolgreich beim Arbeitsgericht Hamburg an. Das LAG beurteilte den Spruch der Einigungsstelle jedoch als wirksam und gestand dem Betriebsrat damit ein Mitbestimmungsrecht bei Personalquoten zu.

Die zentrale Frage der Entscheidung des LAG war, inwieweit der Betriebsrat bei der Personalplanung mitzubestimmen hat. Der Arbeitgeber war der Auffassung, dass die Festlegung der Personalstärke allein dem Arbeitgeber obliege und die Festlegung des erforderlichen Personals jeglicher Beteiligung entzogen sei, die über § 92 BetrVG hinausgeht. In § 92 BetrVG sind ein Unterrichtungsrecht des Betriebsrats und ein Beratungsrecht normiert. Ebenso hat der Betriebsrat nach § 92 BetrVG das Recht, dem Arbeitgeber Vorschläge unterbreiten. Ein „echtes“ Mitbestimmungsrecht ist in § 92 BetrVG jedoch nicht normiert. Allerdings unterliegen nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG Regelungen des Gesundheitsschutzes der vollen Mitbestimmung durch den Betriebsrat. In der Regel wird die die Personalplanung auch Fragen des Gesundheitsschutzes berühren, da mit einem Personalschlüssel eine Überlastung der Mitarbeiter verhindert werden soll. Auf diesem Wege könnte also die Personalplanung der erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG unterliegen.

Mitbestimmung bei Arbeits- und Gesundheitsschutz und Personalplanung nebeneinander

1. Das LAG überprüfte in seiner Entscheidung den Spruch der Einigungsstelle und stellte zunächst fest, dass dieser formal nicht zu beanstanden war.

2. Das LAG prüfte dann, ob den von der Einigungsstelle getroffenen Regelungen grundsätzliche gesetzgeberische Wertungen entgegenstehen. Es kam hierbei zu der Entscheidung, dass der Betriebsrat bei der Personalplanung ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Arbeits- und Gesundheitsschutz) hat und dieses nicht durch die Mitbestimmungsregelungen in § 92 BetrVG (Personalplanung) gesperrt ist. Bei der Festlegung des erforderlichen Personals, das zur Erledigung von Aufgaben benötigt werde, ist nach Ansicht des LAG nicht zu entscheiden, ob entweder nur § 92 BetrVG oder aber ausschließlich § 87 Abs. 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht gewährt. Die Regelungen sind bei der Personalplanung nicht alternativ anzuwenden, sondern betreffen ganz unterschiedliche Angelegenheiten, so dass sie nebeneinander bestehen können. Es ist nach Ansicht des LAG daher nicht richtig, dass § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG allein aus systematischen Gründen keine Maßnahmen erfassen könne, die eine Angelegenheit von § 92 BetrVG berühren.

Das LAG lehnte das Argument des Arbeitgebers ab, wonach ein Eingriff in die Privatautonomie der Unternehmen vorliege, wenn dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Personalplanung zugesprochen würde. Das LAG erläuterte, dass Arbeitgeber bei ihren Entscheidungen zur Personalplanung nicht absolut frei sein können und begründete mit Verweis auf mehrere Urteile.

Personalplanung ist nicht allein Sache des Arbeitgebers

Zunächst erläuterte das Gericht, dass absolute Rechtspositionen mit einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat nicht vereinbar sind und jedes Recht zuweilen Einschränkungen erfahren müsse. Das BAG habe bereits in einer Entscheidung von 1982 die Auffassung vertreten, dass die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht unter dem allgemeinen Vorbehalt stehen, dass durch sie nicht in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingegriffen werden dürfe (BAG vom 31.08.1982 – 1 ABR 27/80). So sei in einem Kaufhaus vom Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auch eine Arbeitszeitregelung gedeckt, die die Ausschöpfung der gesetzlichen Ladenschlusszeiten unmöglich mache.

Das LAG erläutert in seiner Entscheidung weiter, dass das BAG der unternehmerischen Freiheit im Kündigungsrecht einen hohen Stellenwert einräumt. Doch auch diese Freiheit wird nicht grenzenlos gewährt und vor allem wird sie anhand bestimmter Kriterien überprüft: Trifft der Arbeitgeber eine unternehmerische Entscheidung, die eine Kündigung eines Arbeitnehmers nach sich zieht, trifft den Arbeitgeber im Kündigungsprozess eine erhöhte Darlegungslast: Je näher die eigentliche Organisationsentscheidung an den Kündigungsentschluss rückt, desto substantiierter muss der Arbeitgeber den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses darlegen. Im Rechtsstreit muss er konkrete Angaben dazu machen, wie sich seine Maßnahme auf den Arbeitskräftebedarf auswirkt und in welchem Umfang dadurch ein Arbeitskräfteübergang entsteht (BAG vom 17.06.1999 – 2 AZR 522/98).

System der Mitbestimmung beschränkt Personalplanung

Besonders deutlich wird es nach Auffassung des LAG, dass die Personalplanung nicht absolut frei vom Arbeitgeber entschieden werden kann, wenn man berücksichtigt, dass der Begriff nicht nur die abstrakte Bedarfsplanung beinhaltet, sondern auch die Festlegung von Anforderungsprofilen, die Personalbeschaffungsplanung und die Personaleinsatzplanung. In den meisten dieser Bereiche wird das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 92 BetrVG durch besondere Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte ergänzt. So muss der Betriebsrat beispielsweise nach § 95 Abs. 1 BetrVG bei Auswahlrichtlinien zustimmen. Die Personaleinsatzplanung löst, sobald sie in personellen Einzelmaßnahmen mündet, die Rechte des Betriebsrats gemäß § 99 BetrVG aus, was im Einzelfall dazu führen kann, dass der Arbeitgeber seine Personalplanung nicht wie geplant umsetzen kann.

3. Zuletzt stellte das LAG fest, dass die Einigungsstelle im konkreten Fall ihr Ermessen nicht überschritten hatte.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Gegen die Entscheidung des LAG Hamburg hat der Arbeitgeber Berufung zum BAG eingelegt; diese ist unter dem Aktenzeichen 1 ABR 25/20 anhängig. Es bleibt zu hoffen, dass eine höchstrichterliche Entscheidung Klarheit in eine Konfliktsituation bringt, die im Moment für alle Beteiligten nicht rechtssicher gelöst werden kann.

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