Was gibt's Neues?

ICL History: Halt, Stopp! AGB – Kontrolle!

BAG, Urteil vom 25.05.2005 – 5 AZR 572/04

Liebe Leserinnen und Leser,

in unserem neuen Blog-Segment „ICL History“ möchten Ihnen in unregelmäßigen Abständen bedeutsame Gerichtsentscheidung aus dem Bereich des Arbeitsrechts aus der Vergangenheit darstellen und deren bis heute in der arbeitsrechtlichen Praxis zu beachtenden Auswirkungen beleuchten.

Hierfür benutzen wir unsere Zeitkapsel und begeben uns für die erste Folge aus unserem geliebten Kohleturm gemeinsam mit Ihnen direkt ins Jahr 2005. Damals entschied das Bundesarbeitsgericht, dass vertragliche Ausschlussfristen hinsichtlich der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen aus Arbeitsverhältnissen unzulässig sind, wenn sie die Dauer von drei Monaten unterschreiten. Dabei führte das Gericht zum ersten Mal an einem Arbeitsvertrag eine Inhaltskontrolle nach den Maßgaben der §§ 307ff, 310 III BGB durch.

Was war passiert?

Eine Arbeitnehmerin machte im August 2003 Entgeltforderungen für den Zeitraum vom 09. bis zum 30.04.2002 geltend. In dem Arbeitsvertrag aus dem in der Zwischenzeit beendeten Arbeitsverhältnis war unter anderem eine zweistufige Ausschlussfrist hinsichtlich der Geltendmachung von Entgeltforderungen vereinbart, die wie folgt lautete:

„Alle Ansprüche, die sich aus dem Angestelltenverhältnis ergeben, sind von den Vertragsschließenden binnen einer Frist von sechs Wochen seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Falle der Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Frist von vier Wochen einzuklagen.“

Während die Klägerin die Auffassung vertrat, die Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung würde sie unangemessen benachteiligen und sei demnach unwirksam, ging der Arbeitgeber davon aus, dass die Entgeltforderung aufgrund dieser Klausel verfallen sei.

Das Urteil vom 25.05.2005

Das BAG verwies den Rechtsstreit zwar für aus seiner Sicht noch erforderliche Tatsachenfeststellungen zurück an die Vorinstanz, gab der Klägerin jedoch gleichzeitig im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung insoweit Recht, dass sie gemäß § 307 I und II BGB durch die Ausschlussfrist hinsichtlich der gerichtlichen Geltendmachung der Entgeltforderung innerhalb von 4 Wochen unangemessen benachteiligt war:

Zunächst hielt das Gericht in seiner Entscheidung fest, dass diese Vertragsbedingung gem. § 307 I 1 BGB unwirksam und damit unanwendbar nach § 306 II BGB ist, soweit die vierwöchige Klagefrist im Falle der Anspruchsablehnung im Sinne von § 305 I 1 BGB für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und der Klägerin von dem Beklagte gestellt wurde. Hierzu führte das Gericht aus, dass vertragliche Ausschlussfristen die Verjährungsfrist von Ansprüchen zwar grundsätzlich verkürzen dürfen, dabei müssen sich allerdings im Rahmen der strengen Vorgaben der §§ 305ff. BGB, also des sogenannten AGB-Rechts halten. Das BAG führte in diesem Zusammenhang Folgendes aus:

„Zu kurz bemessene Fristen beinhalten die Gefahr einer nicht zu rechtfertigenden Beschneidung wohlerworbener Ansprüche und stellen deshalb eine unangemessene Benachteiligung dar. Daran ändert die Geltung der Ausschlussfrist für beide Teile nichts. Die vereinbarte Klagefrist muss dem Gläubiger eine faire Chance lassen, seine Ansprüche durchzusetzen.“

Angelehnt an die Klagefrist aus § 61 I ArbGG und häufig vorkommende tarifvertragliche Ausschlussfristen hielt das BAG eine Ausschlussfrist von mindestens drei Monate in der Folge für angemessen. Darüber hinaus entschied das BAG, dass die Unwirksamkeit einer einzelvertraglichen Ausschlussklausel zu ihrem ersatzlosen Wegfall bei Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags im Übrigen führt. Entsprechend der Regelung aus § 306 BGB ändert auch eine salvatorische Klausel im Arbeitsvertrag daran nichts.

Das BAG hat dem LAG, an welches die Sache zurückverwiesen wurde, allerdings noch etwas mehr mitgegeben. Es hat nämlich ausgeführt, dass diese besonders strenge Prüfung des Arbeitsvertrags am Maßstab des AGB-Rechts auch stattzufinden habe, wenn das LAG nicht feststellen könne, dass es sich bei der Klausel über die Ausschlussfrist um eine „für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte“ Vertragsbedingung handelt. Dies ist üblicherweise die Voraussetzung für die Anwendung des AGB-Rechts. Das BAG kam aber zu der Erkenntnis, dass hier das AGB-Recht gemäß § 310 III Nr. 2 BGB auch zur Anwendung kommen müsse, wenn die Klausel nur zur einmaligen Verwendung bestimmt gewesen sei. Nach § 310 III Nr. 2 BGB finden bei Verträgen zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer die §§ 306 und 307 bis 309 des BGB, also die Kernnormen des AGB-Rechts auf – in diesem Fall vom Arbeitgeber – vorformulierte Vertragsbedingungen auch dann Anwendung, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. Das BAG entschied in der Folge zum ersten Mal, dass es sich bei Arbeitnehmern um Verbraucher im Sinne des § 13 BGB handelt. Danach ist ein Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Abgesehen davon, dass bereits der Wortlaut des § 13 BGB nahelegt, dass Arbeitnehmer als Verbraucher einzustufen sind, begründete das Gericht seine Entscheidung weiter wie folgt:

„Die Vorschrift enthält keine einschränkenden Tatbestandsmerkmale. (…) Die Anwendung des maßgebenden Kriteriums der fehlenden Einflussnahmemöglichkeit auf Grund der Vorformulierung macht auch bei Arbeitsverträgen einen guten Sinn. Sondervorschriften oder Besonderheiten des Arbeitsrechts stehen nicht entgegen. Vielmehr spricht gerade der gesetzgeberische Zweck dafür, die Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen auch im Arbeitsverhältnis nach Maßgabe des § 310 III BGB zu erweitern, denn es sollte sichergestellt werden, dass das Schutzniveau der Arbeitsvertragskontrolle nicht hinter demjenigen des Zivilrechts zurückbleibt.“

Einordnung und Auswirkungen des Urteils

Spätestens die Öffnung des Anwendungsbereichs des § 310 III Nr. 2 BGB für Arbeitsverträge stellte eine deutliche Veränderung in der arbeitsvertraglichen Praxis dar. Seitdem unterliegt ein Arbeitsvertrag lediglich dann nicht mehr der AGB-Kontrolle nach den §§ 305ff. BGB, wenn es sich um keine vorformulierten, sondern im Einzelnen zwischen den Parteien ausgehandelte Klauseln handelt oder die Allgemeinen Geschäftsbedingungen seitens des Arbeitnehmers in den Vertrag eingeführt werden. Diese Fallkonstellationen kommt aber in der Praxis eigentlich nicht vor. Somit unterliegt jeder arbeitgeberseitige, auch nur für den Einzelfall vorformulierte Vertrag der strengen Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht. Zuvor hatte die Rechtsprechung Arbeitsverträge lediglich am Maßstab von „Treu und Glauben“ nach § 242 BGB kontrolliert und dabei vereinzelte Wertungen der §§ 305ff. BGB herangezogen (vgl. BAG, Urteil vom 16.03.1994 – 5 AZR 339/92). Mit seiner Entscheidung hat das BAG am 25.05.2005 entsprechend seiner Intention das Schutzniveau der Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht demjenigen des allgemeinen Zivilrechts angepasst. Eine Fülle an höchstrichterlichen Entscheidungen zu Klauseln in Arbeitsverträgen, die einer AGB-Kontrolle nicht standhielten, war in den letzten knapp 15 Jahren die Folge. Die Feststellung des BAG, dass der Arbeitnehmer hier als Verbraucher einzustufen ist und die damit einhergehende Ausweitung der strengen Vertragsprüfung am Maßstab des AGB-Rechts auf Arbeitsverträge hat in der Folge dazu geführt, dass diverse bis dahin übliche arbeitsvertragliche Klauseln für unwirksam erklärt wurden oder jedenfalls stark angepasst werden mussten, um ihre Wirksamkeit noch zu erreichen. Dies betraf neben den Ausschlussklausel/ Verfallfristen z.B. Schriftformklauseln, Freiwilligkeitsvorbehalte, Widerrufsvorbehalte, Nebentätigkeitsverbote, Rückzahlungsklauseln, Versetzungsvorbehalte und Klauseln zur Pauschalabgeltung von Überstunden, nur um hier einige zu nennen. Deshalb hatte die hier vorgestellte Entscheidung massive Auswirkungen über den entschiedenen Einzelfall hinaus.

Wir hoffen, dass Sie unserem Blog treu verbunden bleiben und uns auch noch auf die eine oder andere Reise in die Vergangenheit mit „ICL History“ begleiten. Wir freuen uns darauf!

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