Endlich (etwas) Klarheit bei der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 12.06.2024 (Aktenzeichen: 7 AZR 141/23) eine wegweisende Entscheidung zur Berechnung der variablen Vergütung von Betriebsratsmitgliedern während ihrer Vollfreistellung getroffen. Es hat festgestellt, dass die Berechnung der variablen Vergütung allein anhand der durchschnittlichen Zielerreichung der Vergleichsgruppe des Betriebsratsmitgliedes nicht im Einklang mit dem Verbot der Entgeltminderung steht.
„Arbeitnehmer, die regelmäßig einen höheren Bonus als die Mitglieder der Vergleichsgruppe verdienen, weil sie mehr Einheiten an Kunden ausliefern, würden von der Übernahme eines Betriebsratsamts abgeschreckt, da sie die Befürchtung haben müssten, Einkommenseinbußen durch die Wahrnehmung des Ehrenamts zu erleiden.“
Die Berechnung der variablen Vergütung vollfreigestellter Betriebsratsmitglieder steht daher nur dann im Einklang mit § 37 Abs. 2 BetrVG, wenn deren individuelle Leistung vor ihrer Vollfreistellung berücksichtigt wird.
Vergütung vor der Vollfreistellung
Unser Mandant, der Kläger in diesem Verfahren, erhielt vor seiner Vollfreistellung neben einem sehr geringen Gehaltsfixum Provisionen für den Verkauf von Kraftfahrzeugen und den Abschluss von Finanzierungs-/ Leasinggeschäften (sog. Bankprovisionen). Darüber hinaus wurde in Abhängigkeit von der Anzahl verkaufter Kraftfahrzeuge in einem Jahreszeitraum (01.07. des einen bis 30.06. des folgenden Jahres) ein sog. Zielerreichungsbonus gezahlt. Im Referenzzeitraum vor seiner Vollfreistellung verkaufte unser Mandant 33% mehr Fahrzeuge als der Durchschnitt seiner Vergleichsgruppe.
Vergütung für die Dauer der Vollfreistellung
Die Parteien haben sich für die Dauer der Vollfreistellung auf ein „Garantieinkommen“ geeinigt, welches auf der Grundlage der unserem Mandanten im Referenzzeitraum vor seiner Vollfreistellung tatsächlich zugeflossenen Zahlungen berechnet wurde. Streit bestand aber hinsichtlich der weiteren Vergütungsbestandteile. Der Zielerreichungsbonus sollte nach Auffassung der Arbeitgeberin anhand der durchschnittlichen Zielerreichung der Vergleichsgruppe unseres Mandanten berechnet werden, während wir die Auffassung vertraten, dass die Leistung unseres Mandanten (33% mehr verkaufte Fahrzeuge als der Durchschnitt der Vergleichsgruppe) einbezogen werden müsse. Die Provisionen für den Abschluss der Finanzierungs-/ Leasinggeschäfte seien nach Ansicht der Arbeitgeberin während der Vollfreistellung nicht zu zahlen, da es sich hierbei um Leistungen eines Dritten, nämlich der konzernangehörigen Bank GmbH, handeln würde. Wir begründeten diesen Zahlungsanspruch unter anderem damit, dass es zu den arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten unseres Mandanten gehört habe, Finanzierungsgeschäfte über die konzernangehörige Bank zu vermitteln.
Rechtliche Grundlagen
Wir haben die geltend gemachten Ansprüche auf § 37 Abs. 2 BetrVG gestützt. Hiernach sind Mitglieder des Betriebsrates von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Das Verbot der Entgeltminderung soll die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Übernahme eines Betriebsratsamts fördern, indem es ihm die Befürchtung nimmt, Einkommenseinbußen durch die Wahrnehmung eines Ehrenamts zu erleiden. Es bedeutet, dass dem Betriebsratsmitglied das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen ist, das es verdient hätte, wenn es keine Betriebsratsarbeit geleistet, sondern gearbeitet hätte. Es ist somit eine hypothetische Betrachtung anzustellen, welches Arbeitsentgelt das Betriebsratsmitglied ohne die Arbeitsbefreiung verdient hätte. Zur Berechnung der hypothetischen Vergütung ist die Methode zu wählen, die dem Lohnausfallprinzip am besten gerecht wird. Da es um die Feststellung eines hypothetischen Sachverhaltes geht, kann die Feststellung der Zielerreichung bei einem variablen Jahresbonus nur aufgrund von Hilfstatsachen, die in Verbindung mit Erfahrungsregeln einen indiziellen Schluss auf einen bestimmten Geschehensablauf zulassen, getroffen werden.
Was bedeuten diese Grundsätze für den Einzelfall
Das Bundesarbeitsgericht hat unsere Auffassung in allen Punkten bestätigt.
Zielerreichungsbonus
Es hat die Arbeitgeberin verurteilt, einen Zielerreichungsbonus an unseren Mandanten zu zahlen, der nicht allein auf der Grundlage des Durchschnitts der Vergleichsgruppe unseres Mandanten berechnet wird. Vielmehr muss der Bonus die Leistung unseres Mandanten vor seiner Vollfreistellung berücksichtigen und 33% höher liegen als der durchschnittliche Zielerreichungsgrad der Vergleichsgruppe. Verkauft die Vergleichsgruppe unseres Mandanten somit im Durchschnitt 70 Fahrzeuge, ist hypothetisch davon auszugehen, dass unser Mandant 93 Fahrzeuge verkauft hätte, bei durchschnittlich 90 Fahrzeugen der Vergleichsgruppe wären es hypothetisch 120 Fahrzeuge. Etwaige Schwankungen infolge geänderter Marktbedingungen werden auf diese Weise hinreichend berücksichtigt.
Bankprovisionen
Die Arbeitgeberin hat unserem Mandanten nach den Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts auch die Bankprovisionen während seiner Vollfreistellung fortzuzahlen. Das Bundesarbeitsgericht führt insoweit zwar aus, dass § 37 Abs. 2 BetrVG nur das vom Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsvertrages geschuldete Arbeitsentgelt erfasst, es sah aber eine konkludente Vereinbarung der Parteien, nach der die Arbeitgeberin zur Zahlung der Bankprovisionen verpflichtet ist. Es gehöre zu den arbeitsvertraglichen Pflichten unseres Mandanten, den Kunden eine Finanzierung anzubieten und zwar über die Tochtergesellschaften der Arbeitgeberin. Das Bundesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit lediglich zur Berechnung der Höhe der Bankprovisionen an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Nachlaufende Provisionen
Neben den vorstehenden Ansprüchen begehrte unser Mandant auch die Zahlung sog. nachlaufender Provisionen. Hierbei handelt es sich um Provisionen, hinsichtlich derer unser Mandant die Fahrzeuge noch vor seiner Vollfreistellung verkauft hatte, die Provisionen waren aufgrund der innerbetrieblichen Regelungen erst während der Vollfreistellung zur Zahlung fällig. Die Arbeitgeberin unseres Mandanten hat die Zahlung dieser nachlaufenden Provisionen verwehrt, da sie der Auffassung war, dass diese Provisionen bereits in dem „Garantieeinkommen“ inkludiert waren. Das Bundesarbeitsgericht folgte auch in diesem Punkt unserer Argumentation und verpflichtete die Arbeitgeberin zur Zahlung dieser Provisionen. Unser Mandant hatte diese Provisionen bereits vor seiner Vollfreistellung verdient. Sie gehen nicht deswegen unter, weil ein Arbeitnehmer nicht mehr als Handlungsgehilfe aktiv, sondern für Betriebsratstätigkeit freigestellt ist.
Zusammenfassung
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bringt in einer wesentlichen Frage der Vergütung vollfreigestellter Betriebsratsmitglieder Klarheit – und zwar zugunsten der Betriebsratsmitglieder: Leistungsabhängige Vergütungsbestandteile sind nicht allein anhand der durchschnittlichen Leistung/ Zielerreichung der Vergleichsgruppe zu bemessen. Das Verbot der Entgeltminderung wird vielmehr nur dann gewahrt, wenn auch die Leistung des Betriebsratsmitgliedes vor seiner Vollfreistellung berücksichtigt wird. Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist uneingeschränkt zuzustimmen, da hierdurch gewährleistet wird, dass Arbeitnehmer durch Übernahme ihres Betriebsratsamtes und eine teilweise oder vollständige Freistellung keine Gehaltseinbußen erleiden dürfen.
In unserer Beratung von Betriebsratsmitgliedern ist vielfach die Frage der Berechnung ihrer variablen Vergütung während einer Bedarfsfreistellung nach § 37 BetrVG bzw. einer Vollfreistellung nach § 38 BetrVG an uns herangetragen worden. In den Verhandlungen mit den Arbeitgebern, die regelmäßig nur auf eine durchschnittliche Leistung der Vergleichsgruppe rekurrieren wollen, haben wir nun eine starke Grundlage, um die Ansprüche unserer Mandanten durchsetzen zu können.