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Klein aber mächtig? Zur Tariffähigkeit kleiner Gewerkschaften – der Fall DHV

BAG, Beschluss v. 26. Juni 2018, Az. 1 ABR 37/16

Gewerkschaften in Deutschland – da denkt man erst einmal an die großen und bekannten wie Ver.di, IG Metall und IG Bau. Daneben gibt es eine ganze Menge kleiner Gewerkschaften. Diese sind teilweise so klein, dass fraglich ist, ob sie angemessen ihren Zwecken nachgehen können. Davon hängt ab, ob die Gewerkschaft tariffähig ist, also rechtlich in der Lage, Tarifverträge abzuschließen. Bereits seit Längerem wird um die Tariffähigkeit einer kleinen Gewerkschaft, der DHV, gestritten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich nun hierzu geäußert. Wir stellen den Beschluss des BAG dar und widmen uns der Frage, welche Anforderungen eine Gewerkschaft erfüllen muss, um Tarifverträge abschließen zu dürfen.

Die DHV und ihre Satzungsänderung

Die DHV, mit ganzem Namen „DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V.“, ist eine Gewerkschaft, die im Christlichen Gewerkschaftsbund Deutschland (CGB) organisiert ist. Sie gibt an, die Interessen von ca. 73.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu vertreten. Die christlichen Gewerkschaften haben meist einen deutlich geringeren Organisationsgrad als andere Gewerkschaften, d.h. von den in ihrem Organisationsbereich Beschäftigten entscheiden sich nur wenige dafür, Gewerkschaftsmitglied zu werden. Deshalb wurde bei den christlichen Gewerkschaften in der Vergangenheit schon oft diskutiert, ob sie überhaupt tariffähig sind.

Gerichtsentscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Hamburg hatten der DHV über Jahrzehnte dennoch Tariffähigkeit attestiert (s. ArbG Hamburg v. 10.12.1956, Az. 2 BV 366/56 und LAG Hamburg v. 18.02.1992, 2 TaBV 9/95). In den letzten Jahren hatte die DHV allerdings öfter ihre Satzung geändert – und dies sogar erheblich. Zum Beispiel änderte sie in der Satzung ihren Zuständigkeitsbereich. Ursprünglich waren in der DHV ausschließlich Angestellte organisiert. Nach der Änderung sollten auch gewerbliche Arbeitnehmer diverser Branchen umfasst sein.

Nun stand die Frage im Raum, ob die DHV trotz ihrer gravierenden Satzungsänderungen immer noch tariffähig ist.

Was ist Tariffähigkeit und wie sind die Anforderungen?

Das Grundgesetz garantiert allen Arbeitnehmern das Recht, Koalitionen zu bilden, um ihre Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erhalten oder fördern zu können (Art. 9 Abs. 3 GG). Kern dieses Rechtes – das Koalitionsrecht – ist die Möglichkeit, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zu gründen und sich diesen anzuschließen. Allein in den Gewerkschaften des größten deutschen Gewerkschaftsbunds DGB waren nach dessen Angaben im Jahr 2017 fast 6 Millionen Arbeitnehmer Mitglied.

Gewerkschaften sollen Arbeitnehmer vertreten, ihre Rechte wahren und angemessene Arbeitsbedingungen und Löhne aushandeln. Sie stehen als Verhandlungspartner der Arbeitgeberseite gegenüber und müssen damit eine gewisse Durchsetzungskraft haben. Dabei steht meist das Ziel des Abschlusses eines Tarifvertrags im Raum. Ein Arbeitgeber lässt allerdings in der Regel nur mit sich verhandeln, wenn es dafür gute Gründe gibt. Eine Gewerkschaft, die keinen Druck ausüben kann, kann ihre eigentlichen Aufgaben nicht erfüllen.

Das sieht auch der Gesetzgeber so und hat in § 2 TVG festgelegt, dass nur Gewerkschaften, Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände Parteien eines Tarifvertrags sein können. Doch nicht jede Vereinigung soll automatisch, nur weil sie sich „Gewerkschaft“ nennt, nach § 2 TVG Tarifverträge abschließen können. Es kommt darauf an, ob die Koalition tatsächlich genug Macht hat, um den Arbeitgeber zu Kompromissen bewegen zu können.

Deshalb haben die Gerichte Kriterien für die Tariffähigkeit nach § 2 TVG aufgestellt. Eine Gewerkschaft muss demnach, um tariffähig zu sein:

  • Frei gebildet und auf Dauer angelegt sein,
  • von Arbeitgebern und anderen Koalitionen unabhängig sein,
  • „tarifwillig“ sein, d.h. tatsächlich Tarifverträge abschließen wollen,
  • nach demokratischen Grundsätzen organisiert sein und sich nach dem Tarifrecht richten und
  • „sozial mächtig“ genug sein.

Das Kriterium der sozialen Mächtigkeit ist der häufigste Streitpunkt bei der Beurteilung, ob eine Gewerkschaft tariffähig ist.

BAG: Soziale Mächtigkeit zählt

Auch im aktuellen Fall der DHV ging es darum, ob diese nach ihrer Satzungsänderung noch die erforderliche soziale Mächtigkeit hat.

Der DGB und einige Bundesländer hatten die Position der DHV hinterfragt. So tadeln sie die Tarifvertragsabschlüsse der DHV. Diese seien oft für Arbeitnehmer ungünstig (z.B. eine Absenkung der Löhne im Bereich Textilreinigung bei höheren Arbeitszeiten). Zudem sei fraglich, ob die angegebene Mitgliedszahl von etwa 73.000 Arbeitnehmern stimme. Es sei eher von ca. 10.000 Arbeitnehmern auszugehen. Der Ruf der DHV als „Dumping-Gewerkschaft“ ist vielen Beteiligten ein Dorn im Auge. Es gehe dabei, so die IG Metall, allerdings nicht darum, Konkurrenz auszuschalten, sondern angemessene Standards für den Arbeitnehmerschutz zu wahren.

So landete die Frage der Tariffähigkeit der DHV zunächst beim Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht Hamburg. Das Arbeitsgericht entschied gegen eine Tariffähigkeit der DHV, das Landesarbeitsgericht dafür. Das Landesarbeitsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Anforderungen an eine Tariffähigkeit auch durch die tarifpolitische Entwicklung geprägt seien. Dabei seien zum Beispiel das Mindestlohngesetz und das Tarifeinheitsgesetz zu berücksichtigen. Der Mindestlohn und die Tarifeinheit sorgten für mehr Schutz und nähmen damit den Tarifvertragsparteien wie Gewerkschaften etwas von ihrer Bedeutung. Aus diesen und anderen Gründen seien die Anforderungen an die Tariffähigkeit gesunken (LAG Hamburg Beschl. v. 04.05.2016, Az. 5 TaBV 8/15).

Dieser Argumentation wollte sich das BAG nicht anschließen. Die Erfurter Richter betonten, dass für die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft weiterhin insbesondere die soziale Mächtigkeit ausschlaggebend sei. Diese richte sich nach der Verhandlungsstärke.

Eine Gewerkschaft sei verhandlungsstark, wenn ausreichend viele Gewerkschaftsmitglieder im Verhältnis zu Arbeitnehmern, deren Interessen sich die Gewerkschaft verschrieben hat, vorhanden sind. Zudem sei ausschlaggebend, inwieweit die Gewerkschaft in der Vergangenheit bereits erfolgreich Tarifverträge abschließen konnte. Konnte die Gewerkschaft bereits Tarifverträge abschließen, spreche dies für Verhandlungsstärke.

Das BAG entschied, dass bei der DHV die Tariffähigkeit allerdings nicht schon dadurch gegeben sei, dass diese in der Vergangenheit bereits Tarifverträge abschließen konnte. Durch ihren Satzungswechsel habe die DHV ihre Zuständigkeitsbereiche etc. mehrfach verändert. Damit seien auch die in den jeweiligen Zeiten abgeschlossenen Tarifverträge unter unterschiedlicher Zuständigkeit geschlossen worden. Diese Abschlüsse seien der DHV in der Form ihrer jetzigen Satzung sozusagen nicht zuzurechnen. Sie sei damit zu behandeln wie eine neue Gewerkschaft. Damit könne es bei der Beurteilung der Verhandlungsstärke allenfalls auf den Organisationsgrad, d.h. die Mitgliederzahl ankommen.

Das BAG betonte zudem, dass weder das Tarifeinheitsgesetz noch der Mindestlohn etwas an den Voraussetzungen der Tariffähigkeit geändert hätten. Es käme vielmehr ausschließlich auf die soziale Mächtigkeit an. Da das BAG nicht abschließend über die Tariffähigkeit der DHV entscheiden konnte, verwies es die Sache an das LAG zurück.

Wie geht es nun mit der DHV aus?

Eine abschließende Antwort auf die Frage der Tariffähigkeit der DHV konnte der Beschluss des BAG nicht geben.

Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich festhalten: Das BAG bleibt bei seiner Linie – die soziale Mächtigkeit einer Gewerkschaft ist für deren Tariffähigkeit ausschlaggebend. Auch Änderungen in der Tarifpolitik senken die Standards für die soziale Mächtigkeit nicht. Zudem kann die Änderung einer Satzung dazu führen, dass eine Gewerkschaft bezüglich ihrer Tariffähigkeit neu zu beurteilen ist.

Das LAG Hamburg muss nun vor allem die DHV-Mitgliederzahl und den Organisationsgrad in den Zuständigkeitsbereichen klären und auf Grundlage dessen erneut entscheiden.

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