Was gibt's Neues?

Sind Urlaubsansprüche vererblich?

EuGH Schlussanträge v. 29.05.2018, Az. C-569/16 und C-570/16

Bald ist wieder Urlaubszeit – eigentlich eine erfreuliche Sache, außer vielleicht in diesem speziellen Fall: Der EuGH-Generalanwalt musste sich mit der Frage befassen, ob noch ausstehende Urlaubsansprüche von während ihres Arbeitsverhältnisses verstorbenen Angehörigen auf die Erben übertragen werden können.

Verstorbene Arbeitnehmer mit Resturlaub

Grundlage für den Schlussantrag des EuGH-Generalanwalts waren zwei deutsche Fälle, in denen die Erben von den Arbeitgebern ihrer verstorbenen Angehörigen eine finanzielle Vergütung für noch ausstehende Urlaubsansprüche forderten.

Beide Arbeitnehmer, einer bei einem öffentlichen Arbeitgeber beschäftigt, der andere bei einem privaten, waren inmitten ihres Arbeitsverhältnisses verstorben. Gemeinsam hatten sie zudem, dass sie im Zeitpunkt ihres Todes noch nicht genommenen Urlaub offen hatten.

Die Erben klagten also auf Auszahlung der Urlaubsansprüche. Durch den Tod der Arbeitnehmer habe sich der Urlaubsanspruch in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt. Dieser solle dann den Erben zukommen.

Deutsches Erbrecht mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie vereinbar?

Die Klagen waren beim Bundesarbeitsgericht (BAG) gelandet. Die Erfurter Richter hatten bislang zwei Konstellationen unterschieden:

  • Endet das Arbeitsverhältnis durch Kündigung, wird noch vorhandener Resturlaub an den Arbeitnehmer ausgezahlt (sog. Abgeltungsanspruch). Dieser Urlaubsabgeltungsanspruch sei vererblich.
  • Endet das Arbeitsverhältnis dagegen durch den Tod des Arbeitnehmers, verfalle der Resturlaub. Es entstehe – so das BAG – kein Abgeltungsanspruch zugunsten der Erben.

Der Urlaubsanspruch musste sich nach der bisherigen BAG-Rechtsprechung also noch zu Lebzeiten des Arbeitnehmers in einen Abgeltungsanspruch umwandeln, um vererbt werden zu können. Hintergrund dieser Rechtsprechung war, dass das BAG den Urlaubsanspruch als „persönlichen“ Anspruch des Arbeitnehmers bewertete, der allein dessen Erholung dienen sollte.

Es gibt aber eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die dem entgegenstehen könnte. Im Fall Bollacke hatte der EuGH entschieden, dass nationalgesetzliche Regelungen, die besagen, dass der Anspruch auf Abgeltung für nicht genommenen Urlaub untergehe, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers ende, gegen die Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta verstoßen.

Die Gerichte der EU, also auch die deutschen Gerichte, sind dazu verpflichtet, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen. Wenn dies nicht möglich ist, dürfen sie die nationalen Normen nicht anwenden.

Deshalb rief das BAG den EuGH an, um von diesem klären zu lassen, ob seine bisherige Rechtsprechung gegen die europäische „Urlaubsrichtlinie“ verstoße.

EuGH-Generalanwalt: Nicht-Auszahlung an die Erben verstößt gegen EU-Recht

Ein Generalanwalt des EuGH, Yves Bot, plädierte in seinem Schlussantrag dafür, zu bestätigen, dass die Richtlinie mit nationalrechtlichen Vorschriften kollidiere, die besagen, dass der Anspruch auf Urlaub bei Tod des Arbeitnehmers untergehe.

Es gebe keinen Grund, die Maßgaben der Entscheidung im Fall Bollacke in den dargestellten Fällen nicht anzuwenden. In dieser Entscheidung seien die erbrechtlichen Aspekte schon berücksichtigt worden.

Die Entscheidung des EuGH steht noch aus. In der Vergangenheit hat sich allerdings gezeigt, dass der EuGH sich, bis auf wenige Ausnahmen, nahezu immer der Ansicht des Generalanwalts anschließt.

Entscheidet der EuGH entsprechend dem Schlussantrag des Generalanwalts, muss das BAG entscheiden, ob es die erbrechtlichen Vorschriften unionrechtskonform auslegt oder ob es dies nicht für möglich hält und die Normen deshalb insoweit nicht mehr anwendet.

Rechtswissenschaftler und Instanzgerichte sind dafür

Nach Ansicht einiger deutscher Rechtswissenschaftler war die Rechtsfrage durch die Entscheidung Bollacke bereits geklärt. Es ist allerdings möglich und zulässig, zu einer Frage, die der EuGH bereits entschieden hat, ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen durchzuführen.

Einige Landesarbeitsgerichte (LAG) gingen im Anschluss an die Bollacke-Entscheidung offenbar auch davon aus, dass die Rechtslage bereits geklärt sei und sprachen Erben von im Arbeitsverhältnis verstorbenen Arbeitnehmern einen Zahlungsanspruch zu.

Insofern würde eine Entscheidung des EuGH im Sinne des Schlussantrags für eine einheitliche Rechtsanwendung in Deutschland sorgen. Das fördert die Rechtssicherheit und ist deshalb grundsätzlich zu begrüßen.

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